Előadás az „Auf den Spuren Wallenbergs” című nemzetközi tudományos konferencián
Megjelenés helye: Diplomatische Akademie Wien
Megjelenés dátuma: 2012-11-14
Ungarn in dem schicksalsschweren Jahr: 1944
Das ungarische Judentum erlitt im Laufe seiner modernen Geschichte, deren mehr als hundert Jahre umfassender Ereignishorizont sich vom Erringen der Emanzipation bis in unsere Tage erstreckt, zwischen dem März 1944 und 1945, das heisst im Jahr des Holocaustes seine größte Tragödie. Das Ausmaß der Vernichtung ist allgemein bekannt. Das ungarische Judentum, das zu den bedeutendsten jüdischen Gemeinschaften nicht nur Europas, sondern der ganzen Welt gehörte, geriet als letztes Opfer in beinahe unberührtem Zustand in die Klauen des vernichtenden Nazistaatsapparates. Im Verlauf von weniger als nur zwei Monaten – zwischen dem 15. Mai und dem 10. Juli 1944 – stopfte und transportierte man im Rekordtempo mehr als 400 000 Menschen in die Arbeits- und Vernichtungslager – beinahe das gesamte Judentum der ungarischen Provinz. Die Endstation der Fahrt war in der überwiegenden Mehrheit der Fälle Auschwitz.
Meine Damen und Herren!
Ungarn war bis zu dem des Ersten Weltkrieges folgenden Friedensdiktat von Trianon ein multinationales Land. Die Führer des ungarischen liberalen Adels und des ungarischen Judentums hatten Mitte des 19. Jahrhunderts, in der Zeit der antihabsburgischen Unabhängigkeitskämpfe der ungarischen Liberalen ein Bündnis geschlossen. Die Verbindung zwischen der ungarischen Elite und den Führern des ungarischen Judentums erwies sich als stark und die Zeiten überdauernd. Mit mehr oder weniger kleinen Unterbrechungen bestand sie ganz bis zur Besetzung des Landes durch die Nazis am 19. März, ja einige ihrer Fäden blieben sogar bis zum Szálasi-Putsch am 15. Oktober 1944 erhalten.
Mit dem den Ersten Weltkrieg abschließenden unverhältnismäßigen Friedensdiktat von Trianon begann ein neues Kapitel in der Geschichte Ungarns. Das Land war auf einen Schlag zum kleinsten und schwächsten Staat Mitteleuropas geworden. Das Gefühl der Erniedrigung und des Verlustes der Gebiete wurde nur noch weiter dadurch verstärkt, dass die Revolutionen und Putschs von 1918-19 derartige gesellschaftlich inakzeptable Personen in führende Positionen hoben, deren bedeutender Anteil jüdischer Herkunft war.
Die ungarischen politischen Führungsschichten betrachteten die weitere Zusammenarbeit mit ihrem bisherigen Verbündeten, dem ungarischen Judentum, für beendet, denn dieses habe jene ungeschriebene Regel gebrochen, nach der es sich von der unmittelbaren Ausübung der politischen Macht fernhalten würde. Sie deuteten die Ereignisse dahingehend, dass mit den Revolutionen von 1918 und 1919 die Vertreter des ungarischen Judentums nicht einfach nur einen Anteil an der politischen Führungsrolle ihres traditionellen Verbündeten in Anspruch nehmen wollten, sondern vielmehr den Versuch unternommen hätten, ihre Macht zu brechen, sie vollkommen auszuschalten.
Viele haben von diesem Moment an die Juden mit der Linken, dem Terror, dem kommunistischen Ideensystem identifiziert, in denen sie zugleich auch die Verkörperung ausländischer, dem Ungarntum fremder Interessen sahen.
Doch trotz der Wellen des am Ende des Ersten Weltkrieges über Mitteleuropa hinwegfegenden Antisemtismus in Ungarn, trotz der Auswüchse des weißen Terrors und trotz der Einführung des Numerus Clausus Gesetzes – das eine proportionelle Hürde in den höheren Bildungsstätten für Bürger jüdischer Herkunft verordnete – begannen ab Mitte der zwanziger Jahre zwischen den herrschenden ungarischen Kreisen und den Führern des ungarischen Judentums erneut die Voraussetzungen für die Weiterführung ihrer Zusammenarbeit schrittweise wiederzuerstehen. Die alte und jetzt neue politische Elite Ungarns in der Zwischenkriegszeit setzte sich die Wiedererrichtung der alten Größe, Kraft und Ordnung des Landes zum Ziel. Auch das ungarische Judentum wünschte die Wiederherstellung der alten Zustände. Beide Seiten erhofften sich von der Zukunft die Restaurierung der Vergangenheit.
Das ungarische Judentum erneuerte seine ungarisch-jüdische Doppelidentität und wies in dem Zeitraum des zwischen den beiden Kriegen sich lang erstreckenden Zeitraums des Waffenstillstandes jedwede Auffassung zurück, die hierzu im Gegensatz stand oder dies in Frage stellte. Auch weiterhin war in der Region es allein das ungarische Judentum, das keine selbständigen politischen Parteien gründete, allein hier konnte sich der Zionismus, der jüdische Volksgedanke, nicht aus der Marginalität hervorkämpfen. Innerhalb des etwa eine halbe Million Menschen umfassenden ungarischen Judentums überstieg die Zahl der Mitglieder des Zionistischen Verbandes nicht einmal nach dem Machtantritt von Hitler die Zweitausend, und die Summe der eingezahlten Schekel, mit denen der Neuaufbau Palästinas, die Erschaffung des kommenden jüdischen Staates unterstützt wurde, erreichten nicht einmal die Grössenordnung der Spenden einer einzigen polnischen Stadt, wie zum Beispiel von Wilna und seiner Umgebung. Die ungarische zionistische Bewegung war in Europa die unbedeutendste. Diesen beiden Faktoren – dem Fehlen einer selbständigen politischen Partei sowie der Schwäche des Zionismus – müssen wir eine besondere Bedeutung zumessen, denn die Reserviertheit gegenüber dem jüdischen Volksgedanken und gegenüber den politischen Bewegungen verstärkte nur noch die von ihren mitteleuropäischen Glaubensgenossen abweichende Entwicklung des ungarischen Judentums, die in dem bis auf den heutigen Tag andauernden „Sonderweg“ der Geschichte und des Selbstbildes des ungarischen Judentums resultierte.
In Ermangelung selbständiger jüdischer politischer Bewegungen und Parteien wandte sich die gegenüber der Politik über eine Affinität verfügende ungarische jüdische Jugend in erster Linie den Linken, sozialdemokratischen und illegalen kommunistischen Parteien zu, so dass sich also die Rolle der dem Judentum entstammenden Personen in den politisch linken Organisationen im Zeitraum zwischen den beiden Kriegen auch weiter verstärkte. (Ihre Gesamtzahl überstieg aber auch so nicht alle zusammengenommen die zehntausend Personen.) Im 19-20. Jahrhundert war ein Teil des Judentums überall in der Welt ein wichtiger Faktor in den sozialistischen und in den Arbeiterbewegungen, doch wurde ihre Rolle nirgendwo derart stark, ja beinahe schon ausschließlich, wie gerade in Ungarn. Wie Robert Michels in seiner die Geschichte der europäischen Arbeiterbewegungen darlegenden, inzwischen schon zum Klassiker gewordenen Arbeit feststellte: „In vielen Ländern, zum Beispiel in Russland und Rumänien, vor allen Dingen aber in Ungarn und Polen, lag die Führung der Parteien der Arbeiterklasse beinahe ausschließlich in jüdischen Händen.”
Das alt-neue Ungarn zwischen den beiden Kriegen setzte die judenfreundliche Politik der vorhergehenden Epoche nicht fort, doch bis zur Schwelle des Zweiten Weltkriegs, bis 1938 war es auch nicht judenfeindlich. Dies war es trotz des Umstandes, dass im Jahre 1920, im Jahr der Unterzeichnung des Friedensdiktats von Trianon, auf Druck der aus den Nachfolgestaaten nach Ungarn fliehenden zehntausenden von stellenlosen Intellektuellen und auch als Ergebnis des unglücklich ausgegangenen Experiments von Béla Kun der breiten antijüdischen Stimmung nachgebend das ungarische Parlament das bereits erwähnte „Numerus-clausus-Gesetz” beschloss, das das Weiterstudieren der jüdischen Jugend an den Hochschulinstitutionen einschränkte. Diese Verordnung, für deren konsequente Durchführung man nicht sorgte, und das im Jahre 1928 auch zurückgezogen wurde, verursachte den ersten Riss in dem Prinzip der bedingungslosen Rechtsgleichheit des ungarischen Judentums. In dem hierauf folgenden Jahrzehnt zwischen 1928 und 1938 wurde die Rechtsgleichheit wieder hergestellt, das Verhältnis zwischen der ungarischen Führungsschicht und der Führung des ungarischen Judentums auf eine neue Grundlage gestellt. Dieses partnerschaftliche Verhältnis bedeutete nicht mehr ein Interessenbündnis zwischen gleichberechtigten Partnern, sondern konservierte der inzwischen veränderten außen- und innenpolitischen Lage entsprechend die bis zu einem gewissen Grade untergeordnete Rolle der jüdischen Seite, die auf diese Weise unter anderem zur Kenntnis nehmen musste, dass sich die Tore der öffentlichen und der Staatsverwaltung sowie jene der bewaffneten Körperschaften sich vor ihr geschlossen hatten. Zugleich blieben ihnen auf dem Gebiet des wirtschaftlichen und des kulturellen Lebens tausenderlei Möglichkeiten, ihr Talent zu entfalten. Dieser Zeitraum, das Zeitalter der Zweitblüte des ungarischen Judentums bestärkte das Judentum in seinem Glauben, dass der Antisemitismus der Nachkriegsmonate, der weiße Terror und der Numerus clausus nur in Folge der Gebietsverluste auftretende außergewöhnliche und sich nicht wiederholende Episoden waren, und zusammen mit der Erstarkung der Konsolidierung würde dann das Judentum all jene seiner Rechte und Positionen zurückgewinnen, über die es in der Vergangenheit verfügt hatte. Man darf auch den Umstand nicht aus den Augen verlieren, dass ab der Mitte des von 1928 bis 1938 dauernden Jahrzehnts Hitlers militant antisemitisches Deutsche Reich zur bestimmenden Kraft Mitteleuropas geworden war. Die jüdische Bevölkerung geriet in den benachbarten Ländern überall – selbst in dem traditionell für die ungarische jüdische und nicht jüdische Gesellschaft als Musterland geltenden Deutschland – unter Bedingungen, die wesentlich nachteiliger waren, als jene in Ungarn. In dem behandelten Jahrzehnt war die Lage der ungarischen Juden also, auch wenn sie sich im Vergleich zu den Verhältnissen vor dem Ersten Weltkrieg verschlechtert hatte, noch immer besser als es die ihrer Schicksalsgenossen in den benachbarten Ländern war. Es kam also in diesem Zeitraum nicht zu einer Revidierung der Doppelidentität des ungarischen Judentums. Zur Aufrechterhaltung dieser doppelten Identität gab es auch im Zeitraum der diskriminativen Rechtssprechung und des Zweiten Weltkrieges lebhafte Argumentationsansätze, unter anderem dass die antijüdischen Maßnahmen in erster Linie auf äußeren Druck getroffen worden waren, und auch die inneren Unterstützer dieser Maßnahmen Kreisen entstammten, die durch die deutschen Nazis finanziert wurden. Das ungarische Judentum, das zwischen 1938 und 1941 durch drei Judengesetze und unzählige andere Verordnungen eines Großteils seiner bürgerlichen und individuellen Freiheitsrechte beraubt, in seinen wirtschaftlichen und politischen Rechten eingeschränkt worden war, war sich ganz bis zur Besetzung des Landes durch die Nazis im Klaren darüber, dass ihr Schicksal trotz der genannten, sie ihrer Rechte beraubenden Maßnahmen sich wesentlich besser gestaltet als die ihrer europäischen Glaubensgenossen. Zur Untermauerung hiervon zitiere ich aus der Eingabe von Ottó Komoly, dem Vorsitzenden des Ungarischen Zionistenverbandes, die er mit dem Datum des 2. Juli 1943 an den Innenminister gerichtet hatte: „... Zu den Positiva müssen wir in erster Linie jene Tatsache zählen, dass die bisherigen Maßnahmen der Regierung, auch wenn sie für uns schmerzhaft waren, im Endeffekt von den oben ausgeführten Verlusten abgesehen, die Hinüberrettung des beinahe gesamten Bestandes des ungarischen Judentums bisher – und wie wir zu hoffen wagen auch weiterhin – bis in solche Zeiten ermöglicht hat, in denen die Judenfrage unter geordneteren Verhältnissen und in einer ruhigeren Atmosphäre wird gelöst werden können. Wir sind uns dessen bewusst, dass die uns betreffenden Maßnahmen eine große Rolle dabei gespielt haben, dass das Judentum nicht noch schwerwiegenderen Schlägen und noch ernsthafteren Verlusten und vor allen Dingen nicht jenem schrecklichen Schicksal ausgesetzt war, wie es dem Judentum der benachbarten Länder zum Los wurde, sondern auch heute noch unter Bedingungen lebt, die es ihm ermöglichen, sich mit den Fragen der Zukunft zu beschäftigen und sein Schicksal selbständig zu gestalten... Wir können unsere Augen auch davor nicht verschließen, dass zahlreiche Bereiche des ungarischen Gesellschaftslebens vollkommen von der Auswirkung der antijüdischen Propaganda unberührt geblieben sind, was unzweifelhaft ein Beweis für die nüchterne Lebensauffassung und die weise Disziplin des ungarischen Volkes darstellt…”
Die Zeilen von Komoly beweisen, dass die Loyalität des scheinbar sich von den doppelten Wurzeln des ungarischen Judentums getrennten, sich selbst nicht mehr als ungarischen Juden, sondern ausschließlich als Juden definierenden zionistischen Führers für die ungarische Sache, für seine ungarische Heimat bis zur letzten Minute erhalten geblieben war.
Meine sehr geehrten Zuhörer!
Der schwedische Diplomat Raoul Wallenberg kam am 9. Juli 1944 im Auftrag des amerikanischen War Refugee Board (WRB), des amerikanischen Nachrichtenorgans OSS (Office of Strategic Services) und verschiedener amerikanisch-jüdischen Organisationen – unter ihnen der Jüdische Weltkongress’ (World Jewish Congress, WJC), die Zionisten vertretende Jüdischen Agentur (Jewish Agency), sowie die amerikanische jüdischen Hilfsorganisation Joint (Joint Distribution Committee) – nach Ungarn, um sich in die Rettung der verfolgten Juden einzuschalten. Finanziell gedeckt wurde seine Mission durch Joint. Wallenberg wurde in den letzten Stunden des Zweiten Weltkrieges aus dem Grunde nach Ungarn geschickt, damit er das Leben der von der Nazi Militärmaschinerie und ihren ungarischen Handlangern zu Tode verurteilten, als Juden eingestuften ungarischen Staatbürger vor dem sicheren Tode rettet. Genau einen Monat vor der Ankunft Wallenbergs überquerten mit ähnlicher Mission drei aus Palästina kommenden dem ungarischen Judentum entstammenden Freiwillige die ungarisch-jugoslawische Grenze. Hanna Szenes, Ferenc Goldstein (Perec) und Emil Nussbecher (Joel) trugen die Uniform der britischen Armee als sie die Rettung des verfolgten ungarischen Judentums versuchen wollten. Doch kaum betraten sie das Land, wurden sie schon entlarft. Szenes und Goldstein zahlten für ihre Mission mit dem Leben. Nussbecher überlebte.
Raoul Wallenberg war erfolgreicher. Dank seiner Rettungstätigkeit konnten viele hundert Menschen am Leben bleiben. Er selbst wurde aber zu einem der ersten Opfer des Kalten Krieges. Die in Ungarn ankommenden Organe der sowjetischen Militärabwehr verhafteten und verschleppten ihn. Über sein weiteres Schicksal wissen wir bis heute nichts Genaues.
Vor den oben genannten Rettungsversuchen, beziehungsweise parallel zu diesen, dachten die angelsächsischen Alliierten auch an andere mögliche Personen, überdachten auch noch andere Pläne. Es gab auch Vorstellungen, nach denen man zu den Partisanen Titos eine mit besonderen Vollmachten ausgestattete, geeignete Person schicken sollte, die die massenhafte Hinüberrettung der ungarischen Juden nach Jugoslawien vorbereiten sollte.
Zwischen dem 8. Mai und dem 23. Juni 1944 entstand eine lebhafte Korrespondenz zwischen den oben aufgezählten amerikanischen jüdischen Organisationen und dem Amt für Flüchtlingshilfe der amerikanischen „War Refuge Board” darüber, ob man eine oder zwei sich freiwillig meldende Personen mit der Aufgabe betrauen sollte um mit Hilfe der Partisanen Titos die verfolgten Juden zu retten. Für diese Mission hatte man Imre Csernyák, englisch: Emery Chairman ausersehen. Csernyák war von dr. Pál Kéri, die Professoren Vámbéry und Oszkár Jászi, sowie durch den im Dienste des OSS stehenden Antal Balásy, dem früheren Londoner Botschaftssekretär von Ungarn, dem amerikanischen jüdischen Kongress wie folgt empfohlen:
„Csernyák war im Jahre 1897 in Budapest als Nachkomme einer Budaer Patrizierfamilie geboren worden. Er studierte an der Wiener Universität und wurde dann Student der Wiener Militärakademie. Er diente als kaiserlich und königlicher Offizier im Ersten Weltkrieg. Er hatte an der Asternrevolution oder anders gesagt Herbstrosenrevolution von 1918 teilgenommen, war Teilnehmer an den von Károlyi geleiteten Verhandlungen über den Waffenstillstand in Belgrad. Béla Kun und dessen Leute hatten ihn, nachdem sie an die Macht gekommen waren, eingekerkert. Nach 1919 war er in die Emigration gegangen. Sein Schicksal stimmt mit dem der linken Juden überein. (…) Csernyák war eine sehr interessante Mischung der hochgradigen Intelligenz und der Naivität. (…) Da wir im Rahmen eines Regierungsauftrages gemeinsam arbeiteten – hatte ich die Möglichkeit, mich von seinen breit gefächerten und gründlichen militärischen und technischen Kenntnissen zu überzeugen. (...) Es ist sicher, dass er niemals einen Kompromiss mit der Reaktion eingehen würde, und auch nicht zu einem Kommunisten wird. (...) Als Soldat kennt er Disziplin, ja sieht es gerade als einen Vorzug an, wenn er einen zivilen oder militärischen Vorgesetzten hat. (...)”
Csernyák bereitete sich mit großer Begeisterung auf seine Mission vor. Er erarbeitete einen ausführlichen Plan für den Amerikanischen Jüdischen Kongress:
„Im Augenblick ist es am wichtigsten, das ein jeder, der fliehen kann, auf offene Grenzen treffe, und ihn entlang der Grenzen moralische und materielle Unterstützung erwarte, sowie Hilfe, damit er die von den Alliierten kontrollierten Gebiete erreichen könne. Es bieten sich drei Routen für die Flucht an:
Die von Guerilla- und Partisaneneinheiten kontrollierten jugoslawischen Gebiete. In erster Linie Tito, denn seine Truppen befinden sich am nächsten zur ungarischen Grenze.
Die Karpato-Ukraine (Transkarpatien), wo sich im Gebirge überall Partisanen befinden, die mit der Roten Armee in Verbindung stehen.
Rumänien, wo es, so heißt es, die Möglichkeit zur Flucht gibt.
Betrachten wir die Tito-Linie. Man muss mit Tito die Verbindung aufnehmen, damit er im Zusammenhang mit den ungarischen Flüchtlingen eine Garantie gibt. Dies ist ihr Problem.
Hiernach muss man dafür sorgen, dass die sich in Gefahr befindlichen Menschen davon erfahren, dass für sie die Flucht vorbereitet worden ist. Dies kann man über Titos Kanäle einsickern lassen, ebenso über Ihre Verbindungen in Ungarn und auch mit der Hilfe der tschechoslowakischen Untergrundbewegung.
(…) Die Unterstützung des ungarischen Primas, Kardinal Serédy und des hohen Klerus – aber nicht die des niederen Klerus! – ist für unsere Aktion garantiert, sie müssen nur um diese bitten.”
Den oben zitierten Entwurf übergab León Kubowitzki, der für die europäischen Angelegenheiten verantwortliche Direktor des jüdischen Weltkongress’ und Leiter der Abteilung für Rettungsaktionen persönlich an einen der Leiter des „War Refuge Board”, an Lawrence Lessen. Zur Initiierung der Aktion war dem „War Refugee Board” nämlich die Mitarbeit der Regierung notwendig. Auf die positive Antwort der Kommission drängte Kubowitzki in seinem Brief vom 23. Juni 1944, der an John W. Pehle, den geschäftsführenden Direktor, den früheren stellvertretenden Finanzminister gerichtet war. Hieran fügte er das folgende Memorandum an:
„In den vergangenen Wochen haben wir mehrere Besprechungen im Interesse dessen geführt, damit wir eine Möglichkeit erschaffen können, über eine Delegation, die wir zu Tito schicken, unterirdische Kanäle zur Rettung der ungarischen Juden zu öffnen, beziehungsweise jener Juden, die in den besetzten Gebieten Jugoslawiens verblieben waren. Im Laufe unserer Besprechungen wurden unsere Vorstellungen darüber, eine solche Delegation auszusenden, im Jugoslawischen Jüdischen Komitee, beziehungsweise im Ungarischen Jüdischen Komitee unterstützt. Die Mitglieder beider Komitees haben unseren Plan mit großem Enthusiasmus aufgenommen, doch konnten sie uns keine Person empfehlen, die sowohl von Tito als auch vom War Refugee Board akzeptiert werden würde.
Imre Charman-Csernyák könnte die passende Person zur Verwirklichung des obigen Planes sein. Pál Kéri hat ihn bei uns eingeführt, der Jude und ein alter ungarischer Sozialist ist... Gegenwärtig arbeitet er für den OSS. Herr Csernyák arbeitet für das Verteidigungsministerium. Er spricht ungarisch, serbokroatisch, slowakisch und deutsch, versteht das Französische und das Italienische sehr gut. Er verfügt über Erfahrung im Partisanenkampf, und kennt die geographischen Verhältnisse Ungarns und Jugoslawiens sehr gut. (...) Herr Kéri, der Jude ist, könnte der politische Berater sein. Er könnte in Bari bleiben, könnte mit dem Außenminister von Tito verhandeln und die Aufnahmestation für die Flüchtlinge organisieren.”
Die Mission von Csernyák und Kéri wurde schließlich nicht in die Tat umgesetzt. Die oben aufgezählten Regierungsorgane und die jüdischen Organe entschieden, dass sie den Spross einer Familie schwedischer Industriemagnaten: Wallenberg, mit der finanziellen Deckung des Joint nach Ungarn schicken.
Als die sich zur Rettung der ungarischen Juden nach Ungarn begebenden Mutigen: Raoul Wallenberg, Hanna Szenes, Ferenc Goldstein und Joel Nussbecher, im besetzten Ungarn ankommen, war hierzulande die Vernichtung des verfolgten und tatsächlich zum Tode verurteilten ungarischen Judentums bereits in vollem Gange. Die Nazis hatten mit Hilfe ihrer ungarischen Handlanger zwischen dem 15. Mai und dem 10. Juli 1944, wie gesagt, die Mehrheit des Judentums der ungarischen Provinz in die Todeslager transportiert, mehr als vierhunderttausend Menschen!
Die Organisatoren der Missionen, die Leiter der englischen, beziehungsweise der amerikanischen Regierungsorgane sowie der in der Freien Welt tätigen jüdischen Organisationen waren, während sie an ihren Plänen herumspannen, im Besitz jedweden Zweifel daran ausschließenden Informationen, was die Besetzung durch die Nazis für das beinahe eine Millionen Menschen umfassende ungarische Judentum bedeutete. Sie wussten sehr genau, welch entschlossene, gewaltige und wie gut organisierte Kräfte sich zu seiner Vernichtung verbündet hatten. Der Ausführung der Pläne der Nazis zum Völkermord stellt sich auch jetzt niemand entgegen. Dabei war zu dem Zeitpunkt, als das ungarische Judentum an die Reihe gekommen war, der tatsächliche Inhalt ihrer judenfeindlichen Politik schon vor der ganzen Welt entlarvt worden. Dutzende von glaubwürdigen Berichten, Luftaufnahmen, nachrichtendienstlicher Berichte bewiesen jeden Zweifel ausschließend, dass die deutschen Nazis die von ihnen abtransportierten Juden in Vernichtungslager schleppen, und sie dort dann ermorden. Sie hatten ihre gesamte öffentliche Verwaltung und ihre starke Armee in den Dienst ihres Zieles gestellt. Jene Nazi-Maschinerie, die sich im Frühling des Jahres 1944 anschickte, die letzte, beinahe unberührte jüdische Gemeinschaft, das ungarische Judentum zu vernichten, hatte bis zu diesem Zeitpunkt schon sehr viele Erfahrungen sammeln können. Ihr Programm der „Entjudung” Europas verwirklichte sie in den unter ihren Einfluss gezwungenen Gebieten überall mit großem Erfolg: Sie hatte beinahe alle Armeen Europas in die Flucht geschlagen, hatte unter anderem Frankreich besiegt und besetzt, stand im Kampf mit der Sowjetunion und den angelsächsischen Reichen, und obwohl sie zu verlieren begann, so vertrat sie immer noch eine gewaltige Kraft, die man nicht unterschätzen durfte. Um sie vollständig in die Knie zu zwingen, brauchte das Militär der Alliierten noch ein ganzes Jahr.
Die tödliche Bedrohung, die Gefahr, die ab der ersten Minute der Besetzung durch die Nazis dem ungarische Judentum drohte, war allen Führern in der freien Welt bekannt. Präsident Roosevelt sagte am 24. März 1944 auf seiner Pressekonferenz im Zusammenhang mit dem Schicksal der ungarischen Juden folgendes:
„In one of the blackest crimes of all history begun by the Nazis in the day of peace and multiplied by them a hundred times in time of war – the whole sale systematic murder of the Jews in Europe goes on unabated every hour. As a result of the events of the last few days, hundreds of thousands of Jews, who while living under persecution have at least found haven from death in Hungary and the Balkans, are now threatened with annihilation as Hitler´s forces descent more heavily upon these lands. That these innocent people, who have already survived a decade of Hitler’s fury, should perish on the very eve of triumph over the barbarism which their persecution symbolizes, would be a major tragedy.”
Präsident Roosevelt hatte bereits erklärt, dass Hitler und seine Schergen für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden würden. Jetzt versprach er, dass das Ausmaß der Justiz der Alliierten auch auf jene ausgeweitet werden würde, die mit den Nazis kollaboriert haben. „All who share the guilt shall share the punishment”- erklärte er. Roosevelt drängte die Deutschen und andere, Hitlers Plan zu sabotieren. „I asked every German and every man everywhere under Nazi domination to show the world by his action that in his heart he does not share these insane criminal desires. Let him hide these pursued victims, help them to get over their borders, and do what he can to save them from the Nazi hangman. I ask him also to keep watch, and to record the evidence that will one day be used to convict the guilty.”
Roosevelt versprach, die Vereinigten Staaten würden „all means at its command” anwenden, um die Flucht der vorgesehenen Opfer Hitlers zu untzerstützen „insofar as the necessity of military operations permits.”
Meine Damen und Herren!
Lassen Sie mich in Erinnerung bringen, dass im Frühling des Jahres 1943, als die Nachricht Ungarn erreichte, dass die Slowakei beschlossen habe, die übriggebliebenen 25.000 Juden, in erster Linie christlicher Konfession, loszuwerden, es Margit Slachta(1884-1974), die erste in Ungarn als Parlamentsabgeordnete gewählte Frau (1920-22) war, die Francis Joseph Kardinal Spellman, den Erzbischof von New York informierte, den sie von früher aus den USA kannte. Gut informierte Personen wussten ja, dass Spellman zu dem engeren Kreis der Vertrauten des Papstes gehörte, weshalb Slachta hoffte, über seine Person einen Zugang zum Papst erhalten zu können. Um den Preis vieler Schwierigkeiten, die sie zu überwinden hatte, gelang es ihr – durch die Vermittlung der Gemahlin von Reichsverweser Horthy – einen Pass zu erhalten, und sie floh nach Rom. Erzbischof Spellman empfing sie sofort, und ermöglichte ihr eine päpstliche Audienz. Slachta informierte Spellman, und später den Papst, über die slowakischen Ereignisse in mündlicher und schriftlicher Form. Es ist vielleicht dieser Intervention zuzuschreiben, dass Papst Pius XII. die sieben slowakischen Bischöfe instruierte, gegen die Deportation der übriggebliebenen Juden zu protestieren. Er ordnete weiterhin an, dass in allen Kirchen in der Slowakei ein von allen sieben Bischöfen unterzeichneter Hirtenbrief verlesen werden sollte, der darlegte, warum die Deportation mit dem Christentum unvereinbar sei. Zu der Deportation kam es im Jahre 1943 nicht. Erlauben Sie mir aus dem Memorandum von Slachta zu zitieren, in dem sie Spellman Vorschläge machte, was im Interesse der Verfolgten Juden getan werden sollte.
„1.) In dem Fall, dass die Slowakei ihren teuflischen Plan der Deportation tatsächlich durchführt, sollten die USA das Recht von 20.000 deutschen Staatsbürgern zum Aufenthalt in den USA zurückziehen.
2.) Das grausame Schicksal der deutschen Soldaten in russischer Kriegsgefangenschaft ist bekannt. Sollte die Slowakei den Plan der Deportation aufgeben, würden die USA bei Russland im Interesse der deutschen Kriegsgefangenen intervenieren.
3.) Die slowakische Regierung würde monatlich eine Summe von 150.000 Schweizer Franken erhalten, sollte sie den Juden erlauben, auch weiterhin zu bleiben. Die Juden sind – beraubt all dessen, was sie besessen hatten – nicht in der Lage, diesen Betrag zu stellen.
4.) Spanien verfügt über Verteter in der Slowakei. Dem Vorschlag der USA folgend sollte Spanien zum Beschützer der jüdischen Interessen in der Slowakei werden.
5.) Spanien sollte den Juden schnelle Genehmigungen, den Status von zeitweiligen Immigranten in Spanien verleihen, und die USA sollten ihre Bereitschaft erklären, ihnen nach dem Krieg die umfassende Staatsbürgerschaft zu verleihen.”
Es war Raoul Wallenberg, der im dunklen Sommer des Jahres 1944 Slachtas Plan zur Rettung so vieler ungarischer Juden, wie es nur möglich war, verwirklichte. Er, sowie die Vetreter der Budapester Botschaften der Schweiz, Spaniens, Vatikans, und Italiens gaben Schutzpässe heraus, was soviel bedeutete, wie zeitweilige Pässe für Juden. Die ungarischen Behörden waren bereit zu akzeptieren, dass jene, die solche Pässe besaßen, nach dem Krieg Ungarn verlassen würden. Die Schutzpasse spielten eine zentrale Rolle in den Rettungsbemühungen, die seine Kollegen im diplomatischen Dienst unternahmen, Personen wie Friedrich Born vom Internationalen Roten Kreuz, Carl Lutz von der Botschaft der Schweiz, Angel Sanz-Briz aus Spanien, Giorgo Perlasca aus Italien, Sampaio Garrido und Carlos Branquino aus Portugal, der apostolische Nuntius Angelo Rotta, um nur einige zu nennen. Sie alle taten ihr Bestes, um ihre jüdischen Brüder zu retten. Slachta, die Oberin des Ordens der Gesellschaft der Sozialen Schwestern, der im Interesse des Schutzes von Kindern, Frauen und Familien tätig war, ordnete an, dass sie ihre Häuser verlassen sollten, und dass eine geschützte Unterkunft für sie gefunden werden solle, und füllte die Heime der Gesellschaft mit Juden, um diese zu retten. Viele Juden konnten durch sie und andere mutige Männer sowie Frauen gerettet werden. Doch zu viele wurden zu Opfern.
Wir müssten darüber nachdenken, ob die führenden Militärmächte, beziehungsweise die Großmächte der Welt (denn wir müssen auch Großbritannien und die Sowjetunion hierzu zählen), nicht zu mehr in der Lage gewesen sein sollten, als zu solchen bedauernswerten dilettantischen Aktionen, zum Spinnen solch lächerlich kindischer Pläne? Wie konnten sie annehmen, dass es ausreichen könne, zur Rettung von fast einer Million Juden einen, beziehungsweise zwei Menschen aufzubieten, nach Möglichkeit Juden, oder doch zumindest Fremde, ohne angelsächsische Staatsbürgerschaft, als der Feind eine ganze Besatzungsarmee (und nicht irgendeine!) sowie seine Handlanger aufmarschieren ließ. Haben sie tatsächlich geglaubt, haben sie tatsächlich glauben können, dass dies die passende Art und Weise der Rettung ist?
Die Alliierten haben die Eisenbahnlinien, die Krematorien in Auschwitz nicht bombardiert, ihre Kraft, oder sagen wir lieber ihr Nichtwollen reichte nur für solche und ähnliche Alibiaktionen, wie sie oben beschrieben worden sind.
Wir werden aber nie vergessen, dass Raoul Wallenberg am 9. Juli 1944, ausgerüstet nur mit zwei Rucksäcken, einem Mantel und einem Revolver in Budapest ankam, um sich in die Rettung der dem Tode bestimmten Budapester Juden einzuschalten. Er war damals 31 Jahre alt. Ein halbes Jahr, eines der tragischsten halben Jahre der ungarischen Geschichte verbrachte er hier als zweiter Sekretär der schwedischen Botschaft, als Leiter der humanitären Aktion der Vertretung Schwedens. Weit über die gewohnten Formen des diplomatischen Umganges hinaus setzte er sich für den Schutz des Lebens derer ein, die zur Vernichtung bestimmt worden waren. Wenn es sein musste mit Hilfe von Bestechungen, mit Drohungen, oder, wenn es ausreichte, dann mit guten Worten, mit Versprechungen erreichte er es, dass die ihm Anvertrauten, die ihm Vertrauenden frei gelassen wurden, ihr Leben geschont wurde. Er war dort auf den Bahnhöfen und in Hegyeshalom, dort in den Schutzhäusern und im Ghetto. Er war überall dort, wo geholfen werden musste. Wallenberg stellte sich allein, bekleidet mit nur einem einzigen Jackett den uniformierten, bis an die Zähne bewaffneten Nazi- und Pfeilkreuzler-Mördern entgegen. Sein entschlossenes Auftreten und die Ausstrahlung seiner Persönlichkeit ließen seine Feinde vergessen, dass auch er ebenso schutzlos und ausgeliefert war, wie seine Schützlinge. Wieviele Menschen hat Wallenberg im Laufe seiner Budapester Mission gerettet? Manche sprechen von einigen tausend, andere mit nicht geringer Übertreibung von hunderttausend Menschen. Nach der Aufstellung der schwedischen humanitären Aktion vom 13. Januar 1945 erstreckte sich der schwedische Schutz auf etwa fünfzig Gebäude und acht tausend Personen. Doch darf man das Ergebnis der Budapester Mission von Wallenberg nicht einfach auf die Zahl der Geretteten reduzieren.
Weil Wallenbergs Budapester Mission unter Beweis gestellt hat, dass der Mensch niemals hilflos ist. Auch ein einzelner Mensch zählt, wenn er mutig ist. Wenn er es wagt, sich den unmenschlichen Kräften entgegenzustellen. Er gab sein Leben für das unserer Landsleute.
Wir haben die Helden in unsere Herzen geschlossen. Gott möge sie segnen.