„Zu den Erfahrungen der ungarischen Politik gehört ebenso, dass nicht Gesetze, sondern das gesetzliche Vakuum die Quelle von Kritik und schlechtem Ruf sind. Da einschlägige Vorschriften fehlten, konnte sich die »ungarische Garde« als Machtfaktor im Lande aufspielen - zum begründeten und berechtigten Zorn der europäischen Öffentlichkeit. Weil ein einschlägiges Bannmeilengesetz fehlte, konnte die extremistische »Garde« ihren »Schwur« vor der Haustür des Staatspräsidenten leisten - was international der ungarischen Staatsführung vorgehalten wurde. Weil die Meinungsfreiheit so hoch bewertet wurde, fehlte über lange Jahre eine rechtliche Strafandrohung für die Leugnung des Holocaust - was vor allem in Deutschland auf Unverständnis stieß.
»Rechtsextremisten und Antisemiten haben das Sagen«
Im November des vergangenen Jahres hatte der ungarische Literaturnobelpreisträger Imre Kertész, der ebenso wie der österreichische Journalist Paul Lendvai im westlichen Ausland als Kronzeuge für die Verhältnisse in Ungarn angesehen wird, gesagt: »Rechtsextremisten und Antisemiten haben das Sagen.« Damals regierte in Budapest ein von den Sozialisten und punktuell auch von den Freien Demokraten getragenes Kabinett mit einem hohen Anteil von Parteifernen. Wenn schon damals Kertész das Vorherrschen von Antisemitismus diagnostizierte, weil die Rechtsextremisten von »Jobbik« einen steilen Aufschwung nahmen und der gesellschaftliche Ton derber wurde ( damit war Kertész unter den im In- und Ausland lebenden ungarischen Intellektuellen keineswegs allein), dann wäre es politisch kontraproduktiv, die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen.