„Der Auslöser des Misstrauens gegenüber Budapest war das in letzter Minute verabschiedete Mediengesetz, die Ursache aber war der haushohe Wahlsieg Orbáns vor acht Monaten. Seine Partei Fidesz ist europaweit allen Sozialdemokraten und Linksliberalen ein Dorn im Auge, weil ihre Zweidrittelmehrheit im Parlament dokumentiert, dass nach dem völligen Vertrauensverlust der ungarischen Sozialisten und Freien Demokraten das Volk nicht mehrheitlich zu den Rechtsextremen übergelaufen ist, sondern der rechten Mitte zur Regierungfähigkeit verholfen hat.
Dass in dem Land vieles im Argen liegt, politisch, wirtschaftlich, geistig, wurde lange genug im gesamten Westen beklagt; dass zum Aufräumen Unentschiedenheit nicht ausreichen würde, musste man ahnen; dass der Fidesz-Vorsitzende sich als »starker Mann« fühlt und gebärdet, wussten nicht nur seine ungarischen Wähler. Wer aber behauptet, Orbán sei eine Neuauflage der Politiker der dreißiger Jahre oder eine Miniaturausgabe des weißrussischen Lukaschenka, dem fehlt es nicht nur an historischen und geopolitischen Kenntnissen, sondern der kennt auch die europäischen Gepflogenheiten nicht. In Deutschland wird täglich der Vorwurf erhoben, Orbán besetze wichtige Posten mit Parteigängern. Deutschland hatte offenbar Glück, dass bei der Wahl des Regierungssprechers zum Intendanten einer großen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt die deutsche EU-Präsidentschaft nicht unmittelbar bevorstand.”